Kapitel 1: Durch Transformation zum Erfolg
150 bewegte Jahre hat Continental mittlerweile hinter sich. Immer hat sich das Unternehmen in dieser Zeit großen Herausforderungen gestellt und sich kontinuierlich neu erfunden. Oft gingen solche Veränderungen auf eine geplante Zäsur zurück, wurden bewusst initiiert und offensiv angegangen. Manchmal jedoch sind diese erst in der Rückschau als solche zu erkennen, wurden dann oft eher vom Umfeld forciert und lassen sich eher als Reaktion auf existierende Umstände sehen. Alle Phasen der Transformation hatten jedoch eines gemeinsam: Sie waren niemals eindimensional, sie hatten stets viele Facetten.
Eben diese Phasen der Veränderungen sowie die damit verbundene notwendige Anpassungsfähigkeit halfen Continental dabei, widerstandsfähiger gegen Krisen zu werden. Das Unternehmen fand stets einen neuen Weg, jedes Mal kam eine neue Seite des Unternehmens zum Vorschein. Doch jenseits aller benötigter Agilität verfügte Continental auch über Stützpfeiler, die das Unternehmen standhaft durch Krisenzeiten trugen. Auf diesen fußt der Erfolg von Continental bis heute.
Bereits in seinen jungen Jahren musste Continental durch unruhige Fahrwasser: Trotz prinzipiell günstiger Umstände – Kautschuk entwickelte sich zunehmend zu einem vielseitig eingesetzten Rohstoff – stand das 1871 von neun hannoverschen Industriellen und Bankiers gegründete Unternehmen bald vor schwerwiegenden Herausforderungen: Die Kasse war bald leer und das Gründungskapital schnell aufgebraucht. Ein Managementwechsel folgte auf den anderen. Hinzu kam eine Wirtschaftskrise besonderen Ausmaßes. Sie riss viele Branchen in Deutschland in die Rezession. Schon zuvor waren in der noch jungen Kautschuk- und Gummibranche mehrere Betriebe in Konkurs gegangen.
Sich dieser Herausforderungen bewusst, ließen sich die Gründer jedoch nicht entmutigen. Sie glaubten an das enorme Markt- und Zukunftspotenzial des neuen Werkstoffs Kautschuk und setzten alles daran, Continental von einem risiko- und mängelbehaftetem Start-up-Business hin zu einem etablierten Unternehmen zu führen. Den nötigen Rückenwind gab ihnen der Markt: In den 1890er Jahren verbreitete sich der Luftreifen. Als dieser im Jahr 1892 auch bei Fahrrädern populär wurde, war es die Zusammenarbeit von Moritz Magnus – prägender Akteur des Gründergremiums – mit dem ehemaligen Radsport-Profi Willy Tischbein, die diesem Trend weiteren Vorschub leistete.
Wissenschaftsbasierte Produktentwicklung – darauf setzte man bereits in diesem frühen Abschnitt der Unternehmensgeschichte. Bereits damals verfügte Continental über ein eigenes Forschungslabor. Das trug, unter der Leitung von Adolf Prinzhorn, schrittweise dazu bei, dass sich Continental zu einem marktbeherrschenden deutschen Unternehmen der Kautschukindustrie entwickelte.
In der zweiten Phase der Unternehmensentwicklung setzte sich der Aufwärtstrend fort, der sich am Ende der ersten Phase bereits angedeutet hatte. Ähnlich wie in anderen Branchen prägte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine breite Innovationstätigkeit die Geschichte von Continental: Im Jahr 1904 entstand der weltweit erste Profilreifen für Automobile, ein Jahr später folgte der erste Nietengleitschutzreifen und 1908 das System einer abnehmbaren Felge. Auch diese Erfindungen verhalfen Continental schließlich zu ihrem Durchbruch – das Unternehmen wurde zu einem international operierenden Automobilreifen-Hersteller.
Zusätzlich erschloss das Unternehmen weitere Mobilitätsfelder: So lieferte man etwa gummierte Stoffe für Flugzeuge, Zeppeline und Ballons. Eine noch stärkere Ausdifferenzierung in die Bereiche technische Gummiprodukte und Konsumgüter war die Folge. Zeitgleich zur geographischen und fachlichen Expansion wuchs die Zahl der Beschäftigten: von gerade einmal 500 auf rund 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jahr 1913.
Continental wurde zur wesentlichen Mitgestalterin der modernen Mobilitätsgesellschaft des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Daher verwundert es nicht, dass Continental während dieser Zeit auch zahlreiche Publikationen rund um das Thema Mobilität veröffentlichte, wie etwa das „Continental-Handbuch für Automobilisten und Motorradfahrer“, den „Continental-Atlas“ oder das „Continental-Touring-Office“ zur Ausarbeitung von Reiserouten.
Wie beinahe allen Unternehmen in Deutschland machte auch Continental nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Inflation zu schaffen. Besonders wertvoll waren in dieser Zeit internationale Kooperationen, etwa jene mit dem US-amerikanischen Reifenkonzern B. F. Goodrich.
Auch eine einsetzende, breite gesellschaftliche Entwicklung verhalf Continental zu zusätzlichen Geschäftsmöglichkeiten: Sport entwickelte sich zum Massenphänomen. Immer mehr Menschen widmeten ihre Freizeit körperlichen Aktivitäten, wie dem Radfahren. Rennsport-Großveranstaltungen wurden zu Publikumsmagneten. Damit wuchs auch der Markt für die Reifen-Produkte von Continental.
Die Zeit des Nationalsozialismus war ohne Zweifel das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Continental: Zu Beginn dieser Phase stellte das Unternehmen zahlreiche Produkte für die nationalsozialistische Freizeit- und Konsumgesellschaft her, in den Folgejahren wurde das Produktportfolio jedoch mehr und mehr von Rüstungsgütern dominiert. So wurde Continental zu einem Stützpfeiler der nationalsozialistischen Rüstungs- und Kriegswirtschaft und profitierte gleichzeitig wirtschaftlich von der Mobilisierung und Aufrüstungspolitik des Regimes.
Die fünfte Transformationsphase markiert den bis heute weitreichendsten Veränderungsprozess der bisherigen Unternehmensgeschichte: Continental erfand sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs grundlegend neu. Eine neue Unternehmenszentrale wurde errichtet und ein neues Logo symbolisierte den Aufbruch in eine neue Ära.
Die Jahre des „Wirtschaftswunders“ folgten und mit ihnen die Automobilisierungswelle der 1950er und 1960er Jahre. Wie schon damals zu seiner Gründung wagte das Unternehmen den Schritt zur Verwendung eines neuen Werkstoffs: Das war die Geburtsstunde der Kunststoffproduktion bei Continental. Doch auch diese Hochphase währte nicht ewig: Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre wuchs sich ein Konjunktureinbruch und der damalige technologische Rückstand auf den Mitbewerber zu einer handfesten, existenzbedrohenden Krise aus. Das Unternehmen geriet in Schieflage.
Erst 1983 sollte diese langjährige Krise ihr Ende finden – dann gelang Continental „die Flucht nach vorne“. Zuvor hatte sich das wirtschaftliche Umfeld innerhalb der Branche sichtlich verschärft. Mehrere Fusionen sicherten den Fortbestand des Unternehmens.
Im Jahr 1979 übernahm Continental die Uniroyal-Europa-Division, sechs Jahre später folgten Semperit und schließlich 1987 General Tire. Doch diese Übernahmen brachten weitere Herausforderungen mit sich: Eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Unternehmenskulturen und Marken mussten zusammenfinden. Sie sollten unter einem Dach mit einer einheitlichen Strategie und einem gemeinsamen Ziel zusammengeführt werden.
Dies war die Geburtsstunde der Continental AG, in deren Rahmen der gemeinsame Weg in die Zukunft beschritten wurde. Doch auch so würde das Unternehmen keine Ruhe finden: Ein Übernahmeversuch durch den italienischen Reifenhersteller Pirelli scheiterte letztlich.
Aber Continental wäre nicht Continental, wenn es nicht auch in dieser Situation seine Krisenbeständigkeit unter Beweis gestellt hätte: Die Firma verschrieb sich tiefgreifende organisatorische sowie unternehmenskulturelle Veränderungen.
In deren Folge entwickelte sich Continental zum Automobilzulieferer und Systemlieferant – als einziger Reifenhersteller weltweit. Der Bereich Automotive wurde in den Folgejahren kontinuierlich strategisch ausgebaut. Neben Reifen produzierte das Unternehmen so nun auch Systemlösungen – mit dieser Veränderung einher ging ein Imagewandel vom Reifenhersteller zum modernen Technologiekonzern.
Durch Akquisitionen und gezielten Einstieg in immer weitere Märkte wird Continental zu einem kulturell sehr heterogenen und in seiner Belegschaftsstruktur stark ausdifferenzierten Unternehmen.
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009 und ein Übernahmeversuch bedeuteten Unsicherheiten innerhalb des deutschen Automobilzulieferers. Diese konnte Continental im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs der nachfolgenden Jahre jedoch wieder beseitigen.
Um auf solche Entwicklungen künftig besser vorbereitet zu sein, widmete sich Continental in dieser Transformationsphase wieder vermehrt der Förderung seiner Netzwerkkultur und der weiteren Integration organisatorischer und kultureller Einheiten.
Zusätzlich sah sich Continental mit einem klassischen Problem der Unternehmens- und Technikgeschichte konfrontiert: dem Übergang von einer alternden oder veraltenden, aber ausgereiften Technologie hin zu neuen, in den Anfangsjahren oft noch mit Verlusten verbundenen Zukunftstechnologien. Elektromobilität und Automatisiertes bzw. Autonomes Fahren spielten eine immer größere Rolle im Produktprogramm von Continental.
Die schwerwiegenden Veränderungen, die die bisher letzte Transformationsphase von Continental einläuteten, zeichneten sich bereits zu Beginn ab: Seit dem Jahr 2017 sanken die Produktions- und Absatzzahlen in der weltweiten Automobilindustrie stetig, der Umsatz von Continental stagnierte.
Um dieser Entwicklung zu begegnen, rief der Vorstand das Strukturprogramm „Transformation 2019-2029“ ins Leben. Kern dieses Programms ist es, Effizienz und Produktivität zu steigern, mittels Portfolio- und Organisationsanpassungen. Doch bereits ein Jahr später verschärfte sich diese Branchenkrise durch die Corona-Pandemie dramatisch, riss eine große Lücke in Umsatz und Ertrag des Unternehmens.
Continental sah sich zu einem scharfen Sparkurs gezwungen. Noch weiß niemand, wie lange diese Krise anhalten wird, aber es könnte sein, dass diese Transformationsphase die größte Bewährungsprobe in der Geschichte von Continental ist.
Continental hat in ihrer 150-jährigen Geschichte einiges überstanden: diverse staatliche Regulierungsökonomien, zwei Weltkriege, eine Hyperinflation, vier Währungsreformen, diverse Börsencrashs und mindestens fünf Weltwirtschaftskrisen. Man ist also „mit allen Wassern gewaschen“ – und bereit, so die Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben.