Rollende Hochleistungsrechner
Von wegen nur Auto: Die Fahrzeuge von morgen sind rollende Computer, hochvernetzt und extrem leistungsfähig. Ob autonomes Fahren, automatische Over-the-Air-Updates (kabellose Updates) oder neue Unterhaltungsangebote: Für all das braucht es Server an Bord, die eine enorme Rechenleistung, hohe Datenübertragung, aber auch Datensicherheit garantieren. Continental macht das möglich.
Rollende Hochleistungsrechner
Elektrofahrzeugen und selbstfahrenden Autos gehört die Zukunft. Doch ohne vollständige Vernetzung und extrem leistungsfähige Computer geht bei ihnen nichts. Das bedeutet auch: Das bisherige Elektronik-Wirrwarr an Bord der Autos hat ausgedient, denn es stößt längst an seine Grenzen. Künftig übernehmen moderne Hochleistungsserver das Steuer. Continental ist bei der Entwicklung ganz vorn mit dabei. Mit dem ICAS1 hat das Technologieunternehmen einen Meilenstein zur Serienreife gebracht – und ganz nebenbei auch noch neue Arbeitsmethoden etabliert.
Kleiner Kasten mit großer Wirkung
Etwas unscheinbar sieht sie aus, die Zukunft des Autofahrens: eine kleine silberne Box, etwa so groß wie ein Taschenbuch. Doch ihr Inhalt hat es in sich: ein Hochleistungsrechner, der künftig in Millionen E-Autos zentrale Funktionen übernehmen wird – und damit Schluss macht mit dem Durcheinander der Elektroniklandschaft in heutigen Fahrzeugen.
Für die Automobilindustrie bedeutet diese kleine Box einen technologischen Quantensprung, äußerlich kaum sichtbar, aber deshalb nicht weniger revolutionär. Ohne sie wird im E-Auto der Zukunft nichts gehen. Und Continental gehört zu den wesentlichen Treibern dieser Entwicklung. Als erster Zulieferer überhaupt hat das Unternehmen einen Hochleistungsserver für Fahrzeuge in Serienproduktion gebracht: den InCar Application Server, kurz ICAS1. Er befindet sich in den neuen ID. Elektrofahrzeugen von Volkswagen, Europas größtem Autobauer, und damit auch an Bord des ID.3, der ab September 2020 ausgeliefert wird. Bis 2022 sollen über 2,5 Millionen Server von Continental bei VW verbaut werden.
Er steckt schon bald in jedem modernen Auto. Und damit ist er der Anfang vom Ende des Autofahrens, wie wir es seit 120 Jahren kennen.
Höchste Zeit zum Entrümpeln
Die neue Serverlösung von Continental bringt dabei eine lang erhoffte Innovation: endlich die unzähligen Elektronikfunktionen im Auto technisch an einer Stelle zu bündeln. Denn da die Autohersteller im Laufe der Jahre immer neue elektronische Features für ihre Kunden erfunden haben und jedes davon mit seiner eigenen Steuereinheit und Software kommt, gibt es heute in Autos zwischen 70 bis 100 Steuergeräte, meist sogar von unterschiedlichen Herstellern. Die Folge ist eine beinah unüberschaubar gewordene Komplexität, die nicht nur enorme Rechen- und Übertragungskapazitäten verlangt, sondern auch das fehlerfreie Zusammenspiel all dieser Funktionen im Auto erschwert. Wirklich ausschlaggebend für die Umstellung auf eine neue Elektronik-Architektur ist aber die Vollvernetzung von Fahrzeugen. Im Fahrzeug der Zukunft soll es Standard sein, die Software wie bei Smartphone & Co per Over-the-Air-Updates (Kabellos-Updates) aktuell zu halten und neue Funktionen aufzuspielen. Je mehr Softwarefunktionen auf einzelnen Steuergeräten beheimatet sind, desto umfangreicher wird die Komplexität der Softwarelandschaft und Updates sind nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich.
Lediglich eine Entrümpelung kann hier Abhilfe schaffen. Die Idee: Nur noch wenige Hochleistungsserver steuern den elektrischen Antrieb und Funktionsvielfalt im modernen Fahrzeug; Hardware und Software werden voneinander getrennt. Das heißt jedoch nichts anderes, als dass die IT-Infrastruktur im Auto grundlegend neu aufgestellt werden muss. Genau das übernehmen moderne Server wie der ICAS1, die den bisherigen Flickenteppich an Modulen ordnen. Bei den ID. Modellen von Volkswagen sollen künftig je nach Fahrzeugmodell und Ausstattung zwei oder drei Server die Rechenleistung für das Gesamtfahrzeug bereitstellen.
ICAS1 – ein echter Game Changer
Der Hochleistungsserver von Continental verspricht dabei nicht nur den spürbaren Abbau von Komplexität im Innenleben des Fahrzeugs, sondern eine ganze Reihe damit einhergehender Vorteile: So können Fahrzeughersteller etwa Kosten senken. Denn durch die Reduzierung und Neuordnung der Steuergeräte, kann auch auf einen großen Teil der anderthalb Kilometer Kupferdraht, die in heutigen Autos verbaut sind eingespart werden. So wird der Materialaufwand erheblich reduziert. In manchen Autos können allein die Kabelbäume so viel wiegen wie ein zusätzlicher Passagier. Sich davon zu befreien, ist ein echtes Plus gerade für E-Autos, da es hier besonders auf Gewichtsersparnis ankommt.
Vor allem aber ist es die Trennung von Software und Hardware, die Server wie ICAS1 zum Game Changer machen. Denn damit wird es möglich, die die Logik der Fahrzeugfunktionen, die bisher die Steuereinheiten übernehmen auf die zentralen Rechner zu bringen. Das können elektrische Fensterheber sein, die Steuerung von Scheinwerfern und Rückleuchten, die digitale Messung des Reifendrucks oder der schlüssellose Zutritt zum Fahrzeug. Diese und andere Funktionen übernimmt künftig der sogenannte Hypervisor, das zugrundeliegende Betriebssystem, das von der Continental-Softwaretochter Elektrobit entwickelt wurde.
So lässt sich die Software außerdem leicht über eine drahtlose Internetverbindung warten. Laufende Diagnosen des Fahrzeugs oder regelmäßige Updates werden damit zum neuen Standard. Das wiederum senkt die Kosten für Rückrufaktionen und reduziert die Notwendigkeit von Serviceterminen drastisch. Außerdem bleiben die Fahrzeuge aktueller, Hersteller können Probleme beheben oder zu einem späteren Zeitpunkt Funktionen nachrüsten. Und es eröffnet Drittanbietern einen Marktplatz für völlig neue Funktionen und Geschäftsmodelle – ähnlich wie Smartphones einen Markt für Apps geschaffen haben.
Eine neue Dimension für E-Autos
Dabei sind es vor allem Elektrofahrzeuge, die auf diesen neuen Grad an Vernetzung und digitalen Funktionen angewiesen sind. Essenzielle Dienste wie eine reichweitenoptimierte Streckenplanung, das Auffinden von freien Ladepunkten oder das digitale Abrechnen nach einem Ladevorgang basieren auf einer starken IT-Infrastruktur im Auto.
Mehr noch: „Das Elektroauto schläft nie“, sagt Oliver Kasch. Er leitet eines von mehreren Teams bei Continental, die den Hochleistungsserver ICAS1 für den ID.3 von Volkswagen entwickeln. Wenn man bei einem normalen Auto mit Verbrennungsmotor die Zündung abstelle, so Kasch, schalte es sich mehr oder weniger vollständig ab. „Wenn man jedoch ein Elektroauto einparkt, wird es zum Leben erweckt und macht sein eigenes Ding. Es lädt seine Batterien auf, führt Diagnosen durch, lädt Daten hoch und aktualisiert die Software.“ Für all diese Over-the-Air-Funktionen (kabellosen Funktionen) braucht es hohe Rechner- und Übertragungskapazitäten wie sie der ICAS1 bietet.
Und dabei ist der Server noch nicht einmal annähernd an seiner Leistungsgrenze. Der 7-Core-Prozessor übernimmt etwa 70 externe Funktionen im ID.3, kann aber weit mehr: „Die Rechenleistung lässt sich leicht um das 20-Fache steigern und die Netzwerkgeschwindigkeit sogar noch erhöhen“, sagt Kasch. Volkswagen habe sich bewusst dafür entschieden, mit dem ICAS1 einen extrem leistungsfähigen Server zu verbauen, um seine Autos für ggf. später hinzukommende Funktionen, Anwendungen und Dienste gut aufzustellen.
Sicherheit geht vor – mehr denn je
Die unzähligen Anwendungen, für die der Server zuständig ist, verlangen auch ein besonderes Augenmerk auf die Sicherheit von Fahrzeugelektronik und Daten. So verbessert der ICAS1 grundlegend die Cybersicherheit, da die ein- und ausgehende Kommunikation zentral über den Server gesteuert wird. Damit ist Schluss mit den bisherigen zahllosen Kommunikations-Schnittstellen der Vielzahl an Steuergeräten, die immer auch ein Einfallstor für Sicherheitsrisiken sein können.
Mindestens genauso wichtig ist die Sicherheit beim Fahren: Wenn beispielsweise eine App auf dem Smartphone den Bildschirm einfriert, ist das zwar ärgerlich. Bringt eine App allerdings die Bremslichter eines Autos durcheinander, kann es schnell gefährlich werden. Deshalb muss jede App von den sicherheitsrelevanten Bereichen des Fahrzeugs abgegrenzt werden. Auch das gewährleistet der sogenannte Hypervisor, das Betriebssystem des ICAS1.
Entwicklung war eine Mammutaufgabe
Dass der neue Server den enormen Funktionsumfang und die damit einhergehenden Sicherheitsanforderungen problemlos bewältigt, ist das Ergebnis eines außergewöhnlichen Kraftakts bei Continental: Circa 600 Entwickler verbrachten fast zwei Millionen Stunden mit der Programmierung der Software für ICAS1. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt dazu Oliver Kasch, „nicht zuletzt, weil das gesamte Produkt von Grund auf neu entwickelt werden musste.“ Und alles in nur etwa zweieinhalb Jahren, die Continental Zeit dafür hatte – nicht gerade viel im Vergleich zu anderen Produktentwicklungsprozessen dieser Dimension.
Eine zentrale Herausforderung dabei: Der neue Fahrzeugserver musste nicht nur die Software für die unzähligen Steuerungsfunktionen sicher integrieren, sondern auch die Software von vielen verschiedenen Anbietern. Bei so vielen verschiedenen Funktionen und Softwareprodukten kann jede Änderung und jede neue Lösung eines Problems jedoch Welleneffekte haben und zu neuen Problemen führen. Projektleiter Oliver Kasch: „Es liegt in der Natur eines solchen zentralen Servers, dass alles mit allem verbunden ist.“
Durchbruch dank agilem Arbeiten
Neue Wege der Zusammenarbeit fand Continental, wenn auch nicht von Anbeginn, in einem neuen Arbeitsansatz: Nach etwas mehr als der Halbzeit im Projekt entschloss man sich dafür, den gesamten Arbeitsablauf neu zu gestalten und auf das sogenannte Scaled Agile Framework zu setzen, eine Methode für agile Praktiken in großen Entwicklungsprozessen. Auch wenn ein solcher Wechsel mittendrin nicht ideal ist, für Oliver Kasch war er erfolgsentscheidend: „Es war absolut sinnvoll und hat uns allen geholfen, die Sache am Ende zum Guten zu wenden“, sagt er.
Denn es ist das agile Arbeiten, das es ermöglichte, das komplexe Projekt sinnvoll zu steuern und die so wichtige Kommunikation zwischen Entwicklern, Testern und dem Kunden sicherzustellen. Wie es für agile Methoden kennzeichnend ist, verabschiedete man sich vom herkömmlichen „Silo-Denken“, also vom Arbeiten in hierarchisch und in Abteilungen organisierten Strukturen. Stattdessen bildete man agile Teams, in denen alle Ressourcen und Fähigkeiten gebündelt wurden, die zur Lösung einer bestimmten Aufgabe erforderlich waren. Auf diese Weise wurde das Projekt in überschaubare Teilaufgaben zerlegt und damit schnell und effizient zu handhaben. Insgesamt entstanden 42 Teams, die gemeinsam ICAS1 entwickelt haben.
In der Continental-Elektronikfertigung werden leistungsstarke Fahrzeug-Computer hergestellt.
Und noch etwas sticht heraus: die enge Zusammenarbeit nicht nur mit, sondern auch beim Kunden. Tatsächlich waren rund 35 Continental-Mitarbeiter dauerhaft am Volkswagen-Standort in Wolfsburg stationiert und arbeiteten und testeten buchstäblich jeden Tag Seite an Seite mit ihren Volkswagen-Kollegen.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Continental hat mit dem ICAS1 die Weichen für die Zukunft gestellt – nicht nur für das Automobil, sondern auch den eigenen Konzern. Was das Unternehmen bei der Entwicklung des ICAS1 gelernt und geleistet hat, setzt demnach Maßstäbe für künftige Projekte und Arbeitsweisen. Zudem wurden in den vergangenen Monaten weitere Aufträge für High Performance Computer mit einem Gesamtvolumen von mehr als vier Milliarden Euro akquiriert. An der Nachfolgeplattform ICAS1.x wird bereits gearbeitet.