Der Rausschmiss der On-Board Units: Continental entwickelt die Zukunft der Nutzfahrzeug-Mauttechnik
- Eine innovative On-Board Equipment (OBE)-Lösung soll die On-Board Units (OBUs) hinter der Windschutzscheibe ablösen, die heute zur EU-weiten Mauterhebung dienen.
- Eine OBE-Lösung bietet viele Vorteile gegenüber den derzeitigen Einzelgeräten: höhere Datenqualität, niedrigere Gesamtkosten, bessere Updateeignung, neue Geschäftsmodelle.
- Ein Whitepaper erläutert die Continental-Vision, um eine lange stagnierende Diskussion mit einem grundlegenden technologischen Neuansatz wieder voranzubringen.
Schwalbach, 23. November 2021. Continental bereitet einen großen Schritt vorwärts in die Zukunft der Mauterhebung in Nutzfahrzeugen vor. Bisher kommuniziert ein separates, hinter der Windschutzscheibe befestigtes Einzelgerät – die On-Board Unit (OBU) – mit den Mautbrücken bzw. -kontrollsäulen neben der Straße und der Datenverarbeitung im Backend. Das klappt in jedem europäischen Land, in dem die OBU eine Gebrauchstauglichkeitsprüfung durchlaufen hat. Angesichts der zersplitterten europäischen Mautlandschaft waren der Einsatz an Geld und Arbeitszeit, die erforderlich sind, um eine OBU in möglichst vielen EU-Staaten zuzulassen, von Anfang an der Pferdefuß dieser Vorgehensweise. Das zugrundeliegende Prinzip, für jede Funktion ein eigenes Gerät zu nutzen, nähert sich momentan bei werkseitig installierten Systemen seinem Ende. In immer größerem Umfang ersetzen Software und eine neue elektrische und elektronische Architektur (E/E-Architektur) das Netzwerk aus Einzelsteuergeräten. Continental hat diesen Trend, der sich weltweit durchsetzt, zum Bestandteil eines Neuansatzes bei der Mauterhebung gemacht: Anstelle eines Einzelgerätes, das einen großen Kapitaleinsatz und hohe Kosten pro Fahrzeug mitbringt, besteht die Continental-Lösung aus verteilten Funktionsbestandteilen – von denen viele im Nutzfahrzeug ohnehin vorhanden sind.
Die Lösung mit einem verteilten On-Board Equipment (OBE) ist ein effizienterer Weg als der Einsatz isolierter Hardware. Zu den Vorteilen zählt eine zuverlässigere Mauterhebung, weil einige typische Schwachstellen der OBU behoben werden. Updatefähige Software steuert den kompletten Ablauf der Mauterhebung, an der die einzelnen Systemkomponenten beteiligt sind. Gleichzeitig stellt die Software sicher, dass nur richtige und vollständige Daten an den Proxy-Server übermittelt werden. Zudem schützen ein umfassendes Set an Softwarefunktionen und Sicherheitsroutinen des verteilten Systems vor Manipulationen und unberechtigtem Zugriff.
Warum sich die Zeit der Einzelgeräte zu Ende neigt
„Reibungslose und genaue Mautprozeduren sind für gewerbliche Straßennutzer und Flottenmanager extrem wichtig, um beispielsweise unbeabsichtigte Mautverstöße zu vermeiden. Die verteilte On-Board Equipment-Lösung erschließt für die gesamte Mautbranche attraktive Chancen, existierende Funktionseinheiten zu vernetzen, um so eine werkseitig installierte, auf das Fahrzeug zugeschnittene, verteilte und einfach aktualisierbare On-Board Equipment-Lösung zu definieren“, sagt Dr.-Ing. Andreas Müller, zuständig für Nutzfahrzeugmaut und vernetzte Hardware im Continental-Geschäftssegment Commercial Vehicle Fleet Services.
Als Einzelgerät bringt die OBU hinter der Windschutzscheibe dagegen einige typische Schwachstellen mit. Dazu gehören Wackelkontakte, eine irrtümliche Montage der OBU im falschen Fahrzeug und bei älteren OBU mit knappen Rechen- und Speicherkapazitäten außerdem Herausforderungen bei Over-the-Air-Updates. Das größte Problem der OBU jedoch ist die langwierige und kostspielige Zulassungsprozedur in jedem einzelnen europäischen Land. „Das kann zehn Monate für ein einziges Land erfordern“, sagt Andreas Müller. Deshalb wird die vorhandene OBU-Hardware genutzt, solange es irgend geht, um die massiven Investitionen in die Zulassung einer neuen Hardwaregeneration möglichst lange aufzuschieben. Das steht im krassen Widerspruch zu den immer kürzeren Innovationszyklen unserer Zeit und der wachsenden Dominanz der Software in sämtlichen Fahrzeuggattungen.
Kein Einzelgerät mehr nötig: Vorhandene Komponenten bilden die verteilte OBE-Lösung
Das Continental-Konzept für die Mauterhebung von morgen geht alle diese Punkte an. Der Inhalt des früheren Gerätes wird auf werkseitig installierte Komponenten verteilt: GNSS-Sensordaten etwa können vom Navigationssystem oder dem Intelligenten Tachographen bereitgestellt werden. Der Tachograph enthält außerdem ein DSRC-Modem, das sich künftig ebenfalls für die Maut nutzen lässt. Die Bedieneroberfläche lässt sich über die vorhandene Headunit bereitstellen, was den Vorteil eines durchgängigen Bedienkonzepts mitbringt. Für den Datenaustausch mit dem Proxy-Server über mobiles Internet gibt es eine ganze Reihe von Lösungen, wie etwa Bluetooth, GSM und LTE. Sobald der digitale, intelligente Tachograph Bestandteil der verteilten OBE-Lösung ist, bringt das ein erhebliches Plus an Sicherheit und Manipulationsschutz. Auch die Mautdatenqualität wird besser, weil das System integraler Bestandteil der Fahrzeugarchitektur und des Informationsflusses ist.
„Reibungslose Mauterhebung darf nicht heißen: ‚Hoffentlich hält das Ding noch ein Jahr‘“
Das Mobility Package 2025 der Europäischen Kommission (z. B. regelmäßige Fahrzeugrückkehr ins Herkunftsland sowie Cabotage-Quoten) beschreibt die Erfordernis einer Nachrüstung von Nutzfahrzeugen für den internationalen Einsatz mit neuen Intelligenten Tachographen, um die Einhaltung der neuen Bestimmungen zu dokumentieren. Das innovative Mautkonzept von Continental ist zeitlich genau für diese große Chance angelegt, um dem Nutzen einer verteilten OBE-Lösung beizutragen. Um das umzusetzen, bedarf es einer EU-weit harmonisierten Gebrauchstauglichkeitsprüfung, die auf standardisierten Schnittstellen basiert. Die „Interoperability Constituents“ (interfunktionsfähige Anteile) einer OBE-Lösung sollen dazu gemäß harmonisierten Testverfahren geprüft werden. Will man die Vorteile einer OBE-Lösung nutzen, so ist es nötig, entsprechende Teststandards festzulegen. „Angesichts der bevorstehenden Veränderungen müssen sich die Transportbranche, die Mautdienstleister und die Zulieferer der technischen Infrastruktur etwas Überzeugenderes einfallen lassen, als zu beten, dass die alten Geräte hoffentlich noch einmal ein Jahr durchhalten“, sagt Müller.
Mit dem Ziel, durch einen technologischen Neuansatz und mit einer weitgreifenden Vision frischen Schwung in eine alte Diskussion zu bringen, hat Continental ein Whitepaper ausgearbeitet, das die Situation umfassender darstellt und das Konzept der neuen OBE-Lösung detailreicher erläutert. Dieses Whitepaper steht zum Download bereit unter:
https://www.continental-mobility-services.com/en-en/future-of-cv-tolling/
Christopher Schrecke
Mediensprecher Safety and Motion
Continental Automotive