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      „Ohne Sensoren keine Ernte“

      Werden bald Roboter die Arbeit auf dem Acker übernehmen? Ersetzen intelligente Maschinen Traktor, Mähdrescher & Co? Und welche Rolle spielen smarte Reifensensoren für die Landwirtschaft von morgen? VisionZeroWorld sprach im Vorfeld der Agritechnica, der weltgrößten Messe für Agrartechnologie vom 10. bis zum 16. November in Hannover, mit dem Feldrobotik-Forscher Professor Arno Ruckelshausen von der der Hochschule Osnabrück.

      Herr Prof. Ruckelshausen, am 10. November startet die Agritechnica in Hannover. In den Ankündigungen zur Messe ist viel von Big Data, Künstlicher Intelligenz, Cloud Computing und Sensorik die Rede. Müssen Landwirte bald ein Informatikstudium vorweisen, um die Ernte einbringen zu können?

      Die Beobachtung ist richtig – die Schlussfolgerung aber nicht. Wenn wir uns die Innovationen anschauen, die in den vergangenen zehn Jahren auf der Agritechnica präsentiert wurden, dann hat sich der Innovationsgrad tatsächlich zunehmend in Richtung Elektronik, Informatik, Sensorik verschoben. Saat-, Ernte- oder Fütterungsmaschinen werden digital aufgerüstet. Sie sind vernetzt und agieren mehr und mehr automatisiert. Im Prinzip nimmt die Agrartechnologie eine Vorreiterrolle für andere Produktionsindustrien ein. Industrieanwendungen etwa sind heute oft schon vernetzt, aber üblicherweise fahren Maschinen in Produktionswerken nicht durch die Gegend. In der Agrarwirtschaft hingegen sind die Maschinen mobil, und das unter schwierigen Bedingungen im Außeneinsatz. In der Automobilindustrie ist das Thema „Autonomes Fahren“ ein wichtiger Trend, in der Landwirtschaft aber kommt darüber hinaus das autonome Arbeiten hinzu. Das ist noch einmal eine andere Liga. Unternehmen und Forschungseinrichtungen entwickeln autonom fahrende Arbeitsmaschinen, die selbstständig sähen und ernten. Aber muss ein Landwirt ein Informatikstudium vorweisen, um den Mais zu ernten? Nein, ebenso wenig wie ein Smartphone-Nutzer Algorithmik-Experte sein muss, um WhatsApp-Nachrichten zu verschicken. Denn darum geht es: Anwenderfreundliche Systeme zu entwickeln, die viele Vorteile in der Landwirtschaft schaffen.

       

      Erleben wir also gerade die Entstehung von Agrarwirtschaft 4.0? Einer digital aufgewerteten Landwirtschaft mit intelligenter und vernetzter Infrastruktur?

      Farming 4.0 gibt es schon, und wir sind sogar schon einen Schritt weiter als bei Industrie 4.0. Im Prinzip werden in der Landwirtschaft vernetzte, vor allem aber mobile Produktionswerke auf Rädern eingesetzt. Nur, dass so eine Fabrik eben z.B. Mähdrescher heißt. Die Herausforderung ist, komplexe Arbeitsprozesse durch digitale Transformationsprozesse ökonomischer und ökologischer zu gestalten. Mobile Arbeitsprozesse auf dem Acker, die unter einer Vielzahl variabler Störgrößen ablaufen: Es regnet, stürmt oder schneit, der Boden ist uneben, schlammig oder staubtrocken. Das sind enorme Herausforderungen an die Robustheit der eingesetzten Technologien.

       

      Wie in der Automobilindustrie sind auch im Agrarsektor viele neue Startups am Start. Bei der Agritechnica wird in Pavillon 11 ein eigenes „Agrifuture Lab“ für die Präsentation digitaler Innovationen junger Unternehmen eingerichtet.

      Die Branche ist in Bewegung. Wir haben hier im erweiterten Umfeld von Osnabrück, dem Silicon-Valley der Landtechnik, gerade den Verein „Agrotech-Valley“ mit Landtechnikunternehmen, Wissenschaftseinrichtungen, Wirtschaftsförderung und Startups gegründet. Alle Beteiligten haben dasselbe Ziel: Eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Landwirtschaft zu schaffen. Es ist eine regelrechte Aufbruchsstimmung zu spüren an der Basis. Junge Unternehmer und Forscher bringen ein enormes Maß an Kreativität und Dynamik ein. Informatiker und Experten für Künstliche Intelligenz entdecken die Landwirtschaft als spannendes Feld für künftige Entwicklungsaufgaben.

       

      Es gibt ja das Klischee vom Bauern, der sich nicht gerne von außen seine Arbeit erklären lässt und gerne alles so macht wie immer. „Was der Bauer nicht kennt…“, sagt man. Jetzt kommen Informatiker – oder Physiker wie sie – mit Robotermaschinen, die selbst entscheiden, wann der Weizen geerntet werden muss. Treffen da nicht zwei sehr verschiedene Welten aufeinander?

      Ach, das Bild vom beratungsresistenten Bauern ist ein altes Klischee. Die Hochschule Osnabrück kooperiert zum Beispiel mit vielen landwirtschaftlichen Betrieben, wir treffen auf sehr, sehr aufgeschlossene Partner. Wir testen etwa autonome Feldroboter zur Unkrautregulierung, autonome Maschinen zur Fütterung auf dem landwirtschaftlichen Betrieb oder innovative Sensortechnologien für Landmaschinen oder die Pflanzenzüchtung. Die Landwirte unterstützen die Forschung und die notwendigen Feldversuche zur Entwicklung zukünftiger Produkte.

       

      Sie sind Physiker mit dem Forschungsschwerpunkt Sensorik. Welche Bedeutung hat diese Disziplin für die Landwirtschaft, wo kommen Sensoren zum Einsatz?

      Eigentlich überall, wo Maschinen intelligenter oder effizienter gemacht werden für den Einsatz in einer mehr und mehr auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Landwirtschaft. Es geht darum, mit Hilfe verschiedener Sensorsysteme ein differenziertes Wissen über alle wesentlichen Aspekte des Ackers zu erhalten. Künftig kann es heißen: Ohne Sensoren keine Ernte. Das Feld wird nicht mehr als eine Einheit betrachtet und behandelt. Bildgebende optische Sensorsysteme – wie Laserscanner, Stereokameras und Hyperspektralsysteme – oder Radarsensoren produzieren wichtige Rohdaten, die hinsichtlich der Bodenbeschaffenheit oder Pflanzeneigenschaften interpretiert werden. So lässt sich ein Acker bis auf die Qualität der einzelnen Pflanze herunterbrechen, dies ist bereits Gegenstand von Forschungsarbeiten. Die Sensordaten werden zusammengeführt mit weiteren Daten, etwa Boden- oder Wetterdaten. Für den Datenzugang zu den vielfältigen Datenquellen gibt es bereits Lösungen in der Praxis, zum Beispiel die universelle, herstellerübergreifende Datenaustauschplattform „agrirouter“ für Landwirte. Die Interpretation der fusionierten Daten und daraus abzuleitende Handlungsanweisungen sind die großen Herausforderungen.

       

      Zum Beispiel?

      Wenn auf einer bestimmten Teilfläche des Ackers der Ertrag geringer ist, stellt sich die Frage, ob mehr oder weniger Dünger auf diese Teilfläche für eine potenzielle Ertragssteigerung ausgebracht werden soll. Für eine nachhaltige Handlungsanweisung sind vielfältiges Wissen über Pflanzen und Boden und die Interpretation aktueller Sensordaten erforderlich.

       

      Wenn Sensoren die Bodenbeschaffenheit und den Reifegrad von Pflanzen bestimmen, wenn sie den Acker scannen und jede Pflanze kennen, wenn letztlich Robotermaschinen die Arbeit machen: Ist dann der Bauer auf seinem Traktor ein Anachronismus? 

      Auf keinen Fall. Es ist ja auch nicht so, dass man durch den Einsatz einer Waschmaschine stundenlang zu Hause vor der Waschmaschine sitzt und zuschaut. Ein Landwirt hat genügend wichtige Aufgaben, wenn auf dem Feld autonome Maschinen arbeiten. Ein hoher Automatisierungsgrad verhilft zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. Die Prozesse und Verfahren im Pflanzenbau und der Tierhaltung bieten – unter Einbindung des Wissens und der Erfahrungen der Landwirte – Potenziale für ökologische und ökonomische Verbesserungen. Ein Beispiel ist die Entwicklung eines Sensors zur Messung des Feuchtigkeitsgehaltes von gehäckseltem Mais. Bei 60 bis 80 Prozent Feuchte hat die automatische Ermittlung dieses Wertes eine hohe wirtschaftliche Relevanz. Technik allein löst keine Probleme, sie ist zu deren Lösung jedoch häufig ein fantastisches Hilfsmittel.

       

      Der Traktor ist ja ein Hilfsfahrzeug, das vor allem andere Maschinen zieht. Geht der in Rente, wenn autonome Feldroboter übernehmen? 

      Spannende Frage. Denn der Traktor ist tatsächlich per se eine „Zero-Purpose-Machine“. Alleine hilft ein Traktor kaum – außer dem Unternehmen, das ihn verkauft, und vielleicht kann der Landwirt mit einer großen Maschine noch seinen Nachbarn beeindrucken. Davon abgesehen gewinnt der Traktor erst dann, wenn ein Anbaugerät für landwirtschaftliche Prozesse mechanisch und digital angekoppelt wird. Das Anbaugerät ist der eigentliche Boss in dieser Einheit – weil es den Prozess bestimmt. Ob ich dünge, mit einem Ladewagen Heu einsammele oder eine Bodenbearbeitung durchführe – der Traktor ist ein Hilfsmittel für ein Gerät, das die eigentliche Arbeit macht. Dieser Ansatz wird als Tractor-Implement-Management (TIM) bezeichnet. Dabei geht es darum, dass smarte Anbaugeräte zum Säen, Düngen oder Ernten mit dem Traktor vernetzt werden und so zu einer Einheit werden. Wenn Anbaugeräte künftig als autonom agierende Maschinen alleine unterwegs sind, die Traktorfunktion also in das autonom fahrende Anbaugerät integriert ist, dann wäre der gute, alte Traktor tatsächlich überflüssig.

       

      Also heißt es bald: So long, Trecker?

      Nicht unbedingt. Der Traktor ist eben auch ein besonders flexibles Gerät. Er hat keinen festgelegten Einsatzbereich. Man kann verschiedene Anbaugeräte, also Prozessmodule, anhängen, das macht den Traktor zu einem wertvollen Werkzeug. Damit ist er im Prinzip eine flexible Trägerplattform für viele verschiedene Prozesse. Wohin der Weg des Traktors also führt, das lässt sich heute noch nicht sagen. Vielleicht spielen autonome Traktoren eine Rolle, auch hier gibt es schon Ansätze.

      Mit dem BoniRob haben Sie einen Feldroboter entwickelt, der ohne Traktor auskommt. 

      Unser BoniRob steht für eine Arbeitsvariante der Zukunft. Wir haben ihn gemeinsam mit Bosch und dem Unternehmen Amazone entwickelt. Der BoniRob ist eine flexible Trägerplattform, die autonom ohne Fahrer agiert. Sie ist sehr flexibel konzipiert, mittig lassen sich verschiedene Applikationen für unterschiedliche Funktionen integrieren. Für die Züchtung gibt es ein Modul, das Pflanzeneigenschaften untersucht. Ein anderes Modul misst die Bodenbeschaffenheit. Wieder eine andere Applikation kann dank bildgebender Sensorik Unkraut von Nutzpflanzen unterscheiden und mechanisch bekämpfen. Das ist wie beim Traktor: Ohne Applikation – und damit meine ich intelligente Hardwaremodule – hat der BoniRob erst einmal keine Funktion. Je nach Ergänzung aber ist es für vielerlei Einsätze geeignet. So muss der Landwirt nicht für jede Aufgabe ein eigenes Fahrzeug kaufen.

      Rein optisch ist der BoniRob, bei allem Respekt, kein Hingucker. Die Agritechnica aber ist traditionell eine Schau für große Landmaschinen, für Riesentraktoren, für mächtige Mähdrescher. Erleben wir das Aussterben der großen Landmaschinen-Dinosaurier, wenn zunehmend kleinere, flexiblere Maschinen zum Einsatz kommen?

      Finde ich nicht, auch die kleinen Roboter sind in meinen Augen spektakuläre Hingucker (lacht). Klar ist, aktuelle Entwicklungen werden derzeit durch immer größere XXL-Maschinen dominiert, jedoch stellen kleinere autonome Systeme der Kategorie XXS ein Alternativkonzept für eine nachhaltige Landwirtschaft dar. Bei wenigen großen Maschinen ist der Ausfall eines Systems, zum Beispiel eines Mähdreschers, ein erheblicher Kostenfaktor. Bei vielen kleinen Systemen ist das wirtschaftliche Risiko geringer. Weitere Potenziale bestehen hinsichtlich ökologischer Lösungen. Bei kostengünstigen kleinen Systemen stellen sich global auch soziale Aspekte anders da, zumal mehr als 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe weltweit kleiner als fünf Hektar sind.

       

      Verfügbarkeit ist ein wichtiger Aspekt. Continental zum Beispiel entwickelt Reifensensoren auch für die Landwirtschaft, die frühzeitig signalisieren, wenn ein Problem mit dem Luftdruck auftreten könnte. Bekommen auch Reifen eine neue Bedeutung in der Landwirtschaft 4.0?

      Sicher. „Predictive Maintenance“ ist ein wichtiges Stichwort, vorausschauende Instandhaltung also. Ich möchte ein Problem nicht erst dann sehen, wenn es zu spät ist. Reifen spielen hier eine wichtige Rolle. Wenn heute ein Mähdrescher im engen Erntezeitfenster wegen eines Reifendefekts liegenbleibt, dann kann das ernsthafte finanzielle Folgen für den Landwirt haben, vom Sicherheitsaspekt gar nicht zu reden. Dass Reifen in die digitale Architektur integriert werden, ist eine positive Entwicklung. Wenn etwa ein Reifensensor künftig nicht nur Daten zum Fülldruck liefert, sondern auch zum Schlupf auf dem Feld oder zum Nässegrad des Bodens, dann lassen sich wichtige Aussagen treffen. Ergänzt um Daten einer Wetter-App kann ein Feldroboter zur Einschätzung kommen, dass er voraussichtlich im Schlamm stecken bleiben würde. Daraus ergibt sich eine konkrete Handlungsanweisung für den Landwirt. Weitere Potenziale bestehen in der dynamischen feldabhängigen Anpassung des Reifendrucks. Ein Reifensensor ist jedoch nur einer von vielen Bausteinen der Precision-Farming-Technologien. Beispielsweise sehe ich bei den 3D-Technologien – auch bei Continental – erhebliche Potenziale.

      Sie sprachen den Sicherheitsaspekt an. Wie machen autonom fahrende Maschinen die Landwirtschaft sicherer?

      Auf einem riesigen Acker in der Kornkammer Nordamerikas gibt es natürlich keinen signifikanten Publikumsverkehr, da geht es vor allem um Effizienz. Dennoch sinkt natürlich die Gefahr von Unfällen, je weniger der Mensch mit komplexen Maschinen hantiert. Und bei anderen Einsätzen, etwa der Kartoffelernte, sind durchaus viele Mitarbeiter in der Nähe einer Ernte- und Lesemaschine. Wir testen zum Beispiel im Rahmen des Forschungsprojekts „Agro-Safety“ die Sicherheit im Umfeld von autonomen Fütterungsmaschinen auf dem landwirtschaftlichen Betrieb. Es geht darum, dass Sensoren Menschen erkennen und die Maschine bei Gefahr sofort abgestellt wird. Die Entwicklung autonomer Systeme wird – ähnlich wie im Automotive-Bereich – begleitet durch die Einführung von Hybridsystemen zum Beispiel in Form automatisierter Fahrerassistenzsysteme für das autonome Fahren und Arbeiten. Diese sogenannte adaptive Autonomie schließt auch das gemeinsame Arbeiten auf einem Acker von autonomen und nicht-autonomen Landmaschinen ein.

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