Der König der Straße will die Kontrolle nicht verlieren
Die Lkw-Fahrer von heute: Sie sind die Könige der Straße – und wünschen sich nur nach vielen Jahren auf dem Thron die Unterstützung von Assistenzsystemen. So könnte eine Lesart sein zu den Ergebnissen der Continental Mobilitätsstudie 2016.
Aber von Anfang an: Für einen Automobilzulieferer ist der Blick über den eigenen Tellerrand extrem wichtig. Der eigene Teller, das sind heute die aktuellen Entwicklungs- und Produktionsaufträge aus der ganzen Welt. Doch es braucht auch regelmäßig einen größeren Rundumblick um die besten Lösungen für Sicherheit, intelligente Vernetzung und reduzierte Emissionen zu bieten. Unter anderem für die immer kürzeren Entwicklungszyklen: Was für Einflüsse gibt es, die angestammte und neue Technologien über kurz oder lang in Frage stellen? Welche vielleicht erst im Ansatz bekannten Bedürfnisse gilt es zukünftig zu stillen? Welche Rahmenbedingungen müssen längerfristig beachtet werden? Die Continental Mobilitätsstudie soll dabei helfen, diese Fragen zu beantworten. Das Ziel: Wir wollen einen für unsere Branche tiefgehenden Einblick in die Wünsche von Endkunden und Einschätzungen von Branchenexperten bekommen – anonym, aber qualitativ abgesichert über angesehene Marktforschungsgesellschaften.
In diesem Jahr geht es Continental um valide Hintergrundinformationen aus dem Umfeld der Logistikexperten, der Flottenbetreiber und nicht zuletzt um die Einschätzung der Lkw-Fahrer – übrigens gehen 91 Prozent der von infas befragten Logistiker in Deutschland davon aus, dass der Wettbewerb um gut ausgebildete Fahrer schärfer wird. Dieser Wettbewerb scheint in China nicht in dieser Form gesehen zu werden: Hier gehen nur 74 Prozent von einem schärferen Wettbewerb um die Fahrer aus. Insgesamt wurden für die Studie 299 Interviews in Deutschland und China geführt – mit vielfältigen Ergebnissen aus der von Effizienz und Kostendruck geprägten Welt der Straßentransportbranche.
Automatisiertes Fahren liegt für die Logistikbranche zum Teil noch weit hinter dem Horizont
Wenn Kostendruck und die Herausforderung, qualifizierte Fahrer zu finden, die großen Treiber in der Logistikbranche sind und weiter bleiben, dann erstaunt ein Hauptergebnis der Continental Mobilitätsstudie: Gerade rund um die Automatisierung der Nutzfahrzeugbranche gibt es eine gewisse Skepsis.
• Automatisiertes Fahren in seiner Gesamtheit wird derzeit lediglich für 26 Prozent der deutschen Logistiker als besonders wichtig angesehen (bei den chinesischen Kollegen sind es 33 Prozent).
• In Deutschland halten nur 31 Prozent der Logistiker Automatisiertes Fahren für attraktiv für die Fahrer, in China sind es 35 Prozent.
• Die Sicht der Fahrer In Deutschland ist noch deutlich skeptischer: Nur 15 Prozent von ihnen vertreten die Auffassung, dass Automatisiertes Fahren für sie einen Mehrwert darstellt.
• Den Wunsch nach Automatisiertem Fahren äußerten lediglich 9 Prozent der Fahrer.
• Selbst angesichts des enormen Kosten- und Wettbewerbsdrucks in der Branche sehen nur 28 Prozent der befragten Logistik-Experten im Automatisierten Fahren eine Chance für die Branche. In China sind es dagegen fast die Hälfte (47 Prozent).
Die Expertenmeinung – durchaus differenziert
Dabei ist Automatisiertes Fahren für einige Experten „nicht mehr weit weg“: „Teilautomatisiertes Fahren gibt es ja heute schon, und das bedeutet eine erhebliche Effizienzsteigerung.“ „Platooning wird in relativ kurzer Zeit kommen. Dies führt auch zu einer besseren Nutzung der Verkehrsinfrastruktur und zu mehr Fahrsicherheit und hilft eventuell bei dem akuten Fahrermangel“, ist sich ein Flottenmanager sicher. „Platooning ist ein Haupttrend, in den wir investieren, das ist nicht mehr im Stadium eines Experiments.“
Andere Experten sehen die Möglichkeiten deutlich skeptischer: „Platooning mit elektronischer Deichsel – das kann ich mir in der Praxis nicht vorstellen. Und die Haftungsfragen sind völlig ungeklärt. Die dahinterliegende Rechtsstruktur ist noch nicht einmal angedacht. Sie sind auch wichtig für das dann neue Verhältnis von Fahrer zu Lkw sowie für das Verhältnis der automatisierten Fahrzeuge untereinander.“ Zumindest für die technischen Herausforderungen arbeiten die Ingenieure der verschiedenen Hersteller und Zulieferer derzeit mit Hochdruck. Parallel dazu laufen die Gespräche mit den Gesetzgebern – um die elektronische Deichsel schnell in die Serie zu bringen. Für Continental sind diese Ergebnisse ein deutliches Zeichen dafür, dass die Branche hier noch deutlich mehr in Bezug auf die Aufklärungsarbeit zu den Möglichkeiten der Automatisierung zur Senkung der Kosten und auch zur Senkung der Emissionen betreiben muss. Andererseits: Vielleicht scheuen sich die Flottenbetreiber auch bislang nur davor, die notwendigen Investitionen in Zukunft für entsprechende Systeme zu tätigen – schließlich ist es in der Branche wichtig , dass sich ein neues System innerhalb von nur ein bis zwei Jahren amortisiert. Vielleicht ist die erkennbare Grundskepsis aber auch einfach darin begründet, dass in der Transportbranche neue Technologien ihren Nutzen und ihre Verlässlichkeit zu 110 Prozent bewiesen haben müssen, bevor sich die Flottenbetreiber für ihren Einsatz entschließen.
Fahrerassistenzsysteme sind die Geburtshelfer des Automatisierten Fahrens
Den Nutzen bewiesen haben auf jeden Fall bei den Logistikexperten die Sicherheitssysteme. „Fahrassistenzfunktionen wie der Spurassistent oder die Objekterkennung sind weitgehend umgesetzt bei uns. Ziel: größtmögliche Unterstützung für den Fahrer durch Technik“, bestätigt ein Experte aus der Branche. „Alles, was es im Pkw gibt und dort gelöst wird, sollte es auch für Lkw geben“, fordert ein anderer. Ein weiterer ergänzt: „Von Radar bis automatischen Bremsfunktionen. Alles, was die Fahrsicherheit erhöht.“ Und: „Sie sollten nicht durch den Fahrer abschaltbar sein.“
Tatsächlich halten 66 Prozent der deutschen Transportexperten Fahrerassistenzsysteme für notwendig und wünschenswert. Auffällig ist hier die unterschiedliche Auffassung chinesischer Logistiker, von denen gerade mal 30 Prozent Fahrerassistenzsysteme als wünschenswert betrachten. Schon bei der auf Pkw fokussierten Continental-Mobilitätsstudie kam heraus, dass bei all jenen Fahrern, die Fahrerassistenzsysteme bereits nutzen, die Bereitschaft höher ist, auch automatisiert zu fahren. Hier spielt die schrittweise Einführung gesetzlicher Verpflichtungen für Fahrerassistenzsysteme der Verbreitung in die Karten: Schließlich schätzen bereits heute zwei Drittel der Fahrer die Zuverlässigkeit und Bedienfreundlichkeit (jeweils 66 Prozent) der Assistenzsysteme. Auffällig: 72 Prozent der Fahrer mit mindestens 30 Jahren Berufserfahrung wünschen sich mehr Assistenzsysteme. Die Geburtshelfer des automatisierten Fahrens stehen also schon in den Startlöchern.
Wenn zudem 55 Prozent der befragten Trucker ihren Job gerade deshalb lieben, weil sie hier frei entscheiden und steuern können, dann muss die Industrie nun alles dafür tun, dass diese Freiheit und der Wunsch nach Unterstützung bestmöglich zusammenkommen. Ich bin mir sicher: Die Chancen und die Attraktivität des „Königs auf dem Bock“ (wie ein Experte den Beruf des Kraftfahrers auch betitelte) wird sich mit der Einführung von weiteren Fahrerassistenzsystemen und dem Automatisierten Fahren wieder verbessern. Die Gefahren des Jobs werden mit Hilfe der Elektronik reduziert. Zusätzlich können mit Platooning viele Tonnen Diesel eingespart werden. Und schließlich werden die Möglichkeiten, mehr von der Welt mit eigenen Augen zu sehen – für viele Trucker eine wichtige Motivation für ihre Berufswahl - zumindest auf den Fernstrecken auch mit modernster Technik nicht gemindert. Der König der Straße wird auch zukünftig gebraucht – und darf auch weiterhin die Kontrolle behalten, wenn er es denn möchte.
Die wichtigsten Ergebnisse:
• Die Continental Mobilitätsstudie zeigt: Nur 20 Prozent (21 Prozent China) der Flottenbetreiber wünschen sich automatisiertes Fahren – aber gerade Fahrer mit langer Fahrerfahrung wollen Fahrerassistenzsysteme.
• Da Platooning auf Basis des automatisiertes Fahrens große Vorteile für Sicherheit und Effizienz des Straßenverkehrs bietet, muss die Industrie hier nachsteuern: Aufklärung tut not.
• Zufriedenheit ist der beste Geburtshelfer für neue Technologien: Die Mehrzahl (66 Prozent) sind zufrieden mit der Zuverlässigkeit und Bedienerfreundlichkeit der heutigen Fahrerassistenzsysteme.
• Eine schnelle Amortisation von Investitionen ist in der von Kosten und Umweltrichtlinien geprägten Transportbranche wichtig (82 Prozent (D), 65 Prozent (China) der Flottenbetreiber wollen eine Amortisation ihrer Investitionen innerhalb von 1-2 Jahren )
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